Früherkennung von Ausfallrisiken
Forderungsausfälle, besonders solche in signifikanter Höhe, sind im Grunde genommen der Worst Case des Forderungsmanagements. Letztlich ist der Forderungsausfall fast immer auch der Nachweis, dass in diesem Fall alle Mechanismen und Maßnahmen des Forderungsmanagements versagt haben. Klarer und schmerzlicher kann Misserfolg eigentlich nicht dokumentiert werden. Immer, oder nahezu immer, stellt sich in einer solchen Situation die Frage, ob dieser Forderungsausfall nicht doch hätte verhindert werden können. Oft ist die Antwort auf diese Frage leider „JA“. Nun kann das aber einfach daran liegen, dass man meisten „beim Verlassen des Rathauses schlauer ist als beim Betreten“. Es kann aber auch tatsächlich so sein, dass Signale übersehen, falsch interpretiert oder Gegenmaßnahmen unterlassen wurden. Welche Möglichkeiten Sie besitzen, um Gefahren frühzeitig zu erkennen, möchten wir Ihnen nun verdeutlichen.
„DAS HÄTTE ICH WISSEN MÜSSEN…“
Leider, oder besser gesagt zum Glück ist es so, dass Sie Forderungsausfälle in vielen Fällen hätten vorhersehen können. Zum Glück deshalb, weil das Ihnen die Möglichkeit gibt, Schutzmechanismen zu installieren und in künftigen Fällen vergleichbare Forderungsausfälle zu vermeiden. Wäre es nicht so, könnte „das Unwetter“ jederzeit ohne Vorwarnung wieder über das Forderungsmanagement und Ihr Unternehmen herein brechen. Nun handelt es sich bei der Aussage, dass viele Forderungsausfälle vorhersehbar sind, um eine Erfahrung aus der Praxis. Wir wollen und können keinen wissenschaftlichen Beweis für die Richtigkeit unserer These führen, werden Ihnen im Folgenden jedoch einige Informationen und Denkansätze geben, die Sie sicher zur gleichen Überzeugung kommen lassen. Viele Forderungsausfälle sind vorhersehbar und vermeidbar, weil selten eine Insolvenz aus heiterem Himmel kommt. Bevor die Geschäftsleitung eines Unternehmens einen Insolvenzantrag stellt oder stellen muss, sind im Umfeld des betreffenden Unternehmens und im Unternehmen selbst viele Dinge geschehen, die bei weitem nicht vollständig im Verborgenen passieren. Vieles davon ist prinzipiell auch für Sie wahrnehmbar. Um herauszufinden, wann und wie Forderungsausfallrisiken früh- und hoffentlich rechtzeitig erkannt werden können, ist es hilfreich, sich den typischen Verlauf von Unternehmenskrisen anzusehen.
VERLAUF VON UNTERNEHMENSKRISEN
Auf der Basis empirischer Untersuchungen wurde festgestellt, dass Unternehmenskrisen i.d.R. einen schritt- oder stufenweisen Verlauf nehmen. Die Insolvenz eines Unternehmens ist danach lediglich die finale Station vorheriger Krisen.
Strategische Krise
Üblicherweise beginnt, wie das folgende Schaubild veranschaulicht, der Krisenverlauf mit einer strategischen Krise des Unternehmens. Wenn die Strategie des Unternehmens nicht zu den Bedingungen am Beschaffungs- oder Absatzmarkt passt, oder wenn das betreffende Unternehmen nicht in der Lage ist eine durchaus geeignete Strategie auch umzusetzen, resultieren daraus in vielen Fällen Marktanteilsverluste. Diese sind noch nicht zwingend in fehlenden Jahresüberschüssen erkennbar. Gleichwohl wird sich das in den entsprechenden Marktdaten, in denen die Marktanteile der Anbieter dokumentiert werden, niederschlagen. Bevor diese Informationen in entsprechenden Marktdaten ihren Niederschlag finden, ist die Thematik häufig bereits Gesprächsthema in der Branche. Das Unterliegen bei aufsehenerregenden Auftragsvergaben oder der Verlust großer, strategisch wichtiger Kunden ist häufig Gesprächsthema bei Kennern oder Insidern der Branche.
Rentabilitätskrise
Der strategischen Krise folgt häufig die Rentabilitätskrise. Sei es aufgrund eines unpassenden Produktportfolios, sei es aufgrund der Auswahl der „falschen“ Teilmärkte oder sei es durch den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit der Gesamtleistung – in dieser Krise ist ein mehr oder weniger deutlicher Umsatzrückgang zu erkennen. Dies sind Informationen, die bereits in den Jahresabschlüssen der Unternehmen ihren Niederschlag finden. Sie werden sehen, dass diese Entwicklungen, gerade auch von Wettbewerbern des betreffenden Unternehmens, noch intensiver in der Branche diskutiert werden. Bei Ihrem Unternehmen werden in dieser Situation wahrscheinlich auch erkennbar die Bestellungen dieses Kunden sinken.
Ertragskrise
Kann das Unternehmen die Umsatzrückgänge nicht stoppen oder kompensieren, führt das sehr häufig zu einer Unterauslastung der Ressourcen des Unternehmens. Diese Unterauslastung ist zu erkennen an kürzer werden Lieferzeiten oder auch an leerer werden Lagern oder stillstehenden Produktionseinrichtungen. Da die Unternehmen meist nicht in der Lage sind, ihre Kostensituation der Umsatzsituation in der erforderlichen Geschwindigkeit anzupassen, sind Ertragsrückgänge bis zu Jahresfehlbeträgen die Folge. Sowohl die Jahresfehlbeträge als auch die Maßnahmen zur Kostenreduktion bleiben normalerweise nicht im Verborgenen.
Liquiditätskrise
Anhaltende Ertragskrisen führen nahezu geradlinig zum schrittweisen Aufzehren des Eigenkapitals, zur verstärkten (wenn überhaupt noch möglichen) Fremdfinanzierung und damit Schritt für Schritt in die Liquiditätskrise. Liquiditätskrisen Ihrer Kunden brauchen wir an dieser Stelle nicht zu beschreiben, die Wahrnehmungsmöglichkeiten (eher -zwänge) sind Ihnen wohl bekannt. Diese kurzen Ausführungen sollten ausreichen, um Ihnen zu verdeutlichen, dass der Wege eines Ihrer Kunden in die Insolvenz (wenn es nicht gerade ein Neukunde ist) durchaus von Ihnen beobachtet werden kann. Sehr viel detaillierter und kompetenter als wir beschreibt Prof. Bernd Weiß in dem Beitrag: „Früherkennung von Insolvenzrisiken im Firmenkundengeschäft“ in der Loseblattsammlung: „Forderungsmanagement im Unternehmen“ den Verlauf von Unternehmenskrisen und die Wahrnehmbarkeit von Insolvenzrisiken.
TYPISCHE SIGNALE
Um Ausfälle von Forderungen zu vermeiden, genügt es nicht zu wissen, dass Risiken erkennbar sind. Die Vermeidung der Forderungsausfälle erfordert die Wahrnehmung der entsprechenden Indizien. In diesem Abschnitt wollen wir Sie daher auf einige Indizien oder Signale aufmerksam machen, die Ihnen einen drohenden Forderungsausfall ankündigen. Wir möchten Sie vorher aber noch ganz besonders darauf hinweisen, dass einzelne oder auch mehrere Indizien auf Ausfallrisiken hindeuten können, es ist aber nicht zwingend, dass bei Wahrnehmung solcher Signale tatsächlich auch Ausfallrisiken bestehen. Aus unserer Erfahrung wissen wir jedoch, dass die Häufung des Auftretens von Indizien, die Wahrscheinlichkeit, dass Ausfallrisiken tatsächlich bestehen, signifikant erhöht. Nach unserer Wahrnehmung sind Hinweise auf potenzielle Forderungsausfälle in zwei unterschiedlichen Kategorien zu finden:
- Hinweise in der allgemeinen Entwicklung beim Kunden
- Signale in der Kunden-Lieferanten-Beziehung
Hinweise in der allgemeinen Entwicklung beim Kunden
Typische oder häufige Indizien in der allgemeinen Unternehmensentwicklung Ihres Kunden sind nachfolgend exemplarisch aufgeführt:
- hohe Fluktuation von Führungskräften
- negative Veränderungen der Unternehmenslage (z.B.: Umsatzrückgang, unübliche Häufung von Sonderangeboten oder Verkaufsaktionen)
- Kurzarbeit und/oder Abbau von Mitarbeitern
- Schließung von Niederlassungen oder Verlegung des Firmensitzes
- Insolvenzen im Unternehmensverbund
Den Kunden aktiv genauer betrachten
Warum können die o.g. Beispiele Indizien für drohende Forderungsausfälle sein? Wenn Unternehmen in Krisen geraten, versuchen sie Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Es sind oft sehr ähnliche Maßnahmen, die als probates Mittel erachtet werden. Eines dieser als probat angesehenen Mittel ist ein in der Anzahl, in der Geschwindigkeit oder auch zum jeweiligen Zeitpunkt überraschender Wechsel im Kreis der Führungskräfte. Sei es, dass Aufsichtsräte, Beiräte oder Eigentümer die Geschäftsführung für die Krise verantwortlich machen oder ihr die Krisenbewältigung nicht zutrauen. Oder sei es, dass Führungskräfte ihre Visionen und strategische Überlegungen nicht realisieren können und den Kurs der Eigentümer nicht mittragen wollen. In jedem Fall ist ein signifikanter Wechsel bei den Führungskräften die Folge. In Krisensituationen versuchen Unternehmen häufig, durch verstärkte Anstrengungen am Markt Umsatzrückgänge und drohende Ertragsausfälle zu kompensieren. Teilweise äußert sich dies dann in unerwarteten, branchenunüblichen Aktionen, die bei Außenstehenden Verwunderung auslösen Der Abbau von Mitarbeitern, zumindest dann, wenn dies nicht eindeutig auf Produktivitätssteigerungen zurück zu führen ist, ist als Krisenbewältigungsmaßnahme hinlänglich bekannt und muss nicht weiter erläutert werden. Etwas mehr Erklärung erfordern dagegen Maßnahmen der Restrukturierung des Unternehmens. In Krisensituationen versuchen viele Unternehmen sich auf Kernkompetenzen zu besinnen oder ihre Schlagkraft zu fokussieren. Wahrnehmbare Erscheinung solcher Aktivitäten ist oft die Schließung von Niederlassungen oder Tochtergesellschaften (auch durch Insolvenz). Den oben aufgeführten Beispielen ist gemeinsam, dass die Indizien nicht zwingend in Ihrem Unternehmen erkannt werden müssen, da sie nicht die unmittelbare Geschäftsbeziehung berühren. Diese Informationen sind stattdessen in der Öffentlichkeit wahrzunehmen. Quellen für solche Hinweise sind die Tagespresse, Branchenveröffentlichungen und auch Informationen auf den Websites der Kunden. Teilweise schlagen sich Maßnahmen, wie z.B. Standortschließungen aber auch im Handelsregister oder zumindest in den Informationen der Auskunfteien nieder. Aus den genannten Quellen ist bereits ersichtlich, dass diese Informationen selten zufällig zu Ihrer Kenntnis gelangen. Um sicher zu stellen, dass diese Signale wahrgenommen werden, muss aktiv nach diesen Informationen gesucht werden.
Signale in der Kunden-Lieferanten-Beziehung
Um in der unmittelbaren Geschäftsbeziehung Indizien für drohende Forderungsausfälle zu erhalten, müssen Sie sich nicht aktiv auf die Suche begeben. In diesen Fällen müssen Sie die Informationen, die Ihnen vorliegen, lediglich wahrnehmen und interpretieren. Zu dieser Kategorie der Hinweise auf Ausfallrisiken gehören:
- (plötzlich) veränderte Bestellpraxis
- Zunahme an Reklamationen oder Beschwerden
- Schutzbehauptungen (z.B.: Mängelrügen)
- Außendiensthinweise (z.B. Gerüchte, Lage vor Ort, Wettbewerbssituation)
- ungünstigere Bank- und Büroauskünfte
- geringere Kreditlimite der Kreditversicherer
- überraschender Wechsel der Bankverbindung
- schleichende Veränderung der Zahlweise
Es fängt schleichend an
In sich zuspitzenden und verschärfenden Krisensituationen sind Ihre Kunden gezwungen, ihre Geschäftspraktiken oder auch „Gewohnheiten“ zu ändern. Bei einer enger werden Liquidität können z.B. bisher übliche Bestellmengen (bspw. um Transportkosten zu optimieren) nicht mehr geordert werden oder Skontozahlung ist mangels Liquidität nicht mehr möglich. Stattdessen werden Versuche unternommen die Zahlungen hinaus zu schieben (in der Hoffnung auf zwischenzeitliche Geldeingänge). Nur in seltenen Fällen beginnt der Kunde mit Ihnen (bzw. Ihrem Vertrieb) über die Veränderung der Nettozahlungsziele zu verhandeln (die Höhe des Skonto spielt dann plötzlich eine nachgeordnete Rolle). Wesentlich häufiger werden Möglichkeiten gesucht (und oft leider auch gefunden) die Zahlung über das Nettozahlungsziel hinaus zu schieben. Dies fängt an beim plötzlichen Auftreten von „Marginal-Reklamationen“, geht über zur Zurückhaltung ganzer OP aufgrund von fehlenden Bagatell-Gutschriften, setzt sich fort mit dem Wunsch Rechnungen umzuschreiben (von einem Standort auf den anderen oder von einer Gesellschaft auf eine andere) bis hin zur Behauptung keine Rechnung erhalten zu haben. Das alles ist reine Verzögerungstaktik, um nicht eingestehen zu müssen, dass aufgrund von Liquiditätsproblemen keine fristgerechte Zahlung möglich ist. Eine weitere Gruppe von Indizien stellen der Wechsel der Bankverbindung, ungünstige Auskünfte und Herabsetzung von Versicherungslimiten dar. In solchen Fällen können Sie vermuten, dass Störungen in der Beziehung zur Hausbank infolge von ausbleibenden Kredittilgungen oder Erreichen von Kreditlinien eingetreten sind. Außerdem hat möglicherweise der Kreditversicherer durch eigene Recherchen oder mittels Kreditzielüberschreitungsmeldungen anderer Lieferanten von der Liquiditätskrise erfahren.
MASSNAHMEN ZUR FRÜHZEITIGEN WAHRNEHMUNG VON AUSFALLRISIKEN
Wenn Sie unserer Argumentation bisher gefolgt sind, stellen Sie sich nun sicher die Frage, wie Sie Indizien für potenzielle Forderungsausfälle möglichst zuverlässig und möglichst frühzeitig erhalten können. Diese Frage ist im Prinzip recht einfach zu beantworten. Am häufigsten und am dichtesten am Kunden und damit an der Mehrzahl der o.g. Informationen bewegt sich der Vertrieb Ihres Unternehmens. Ihr Vertrieb ist sozusagen Ihr Sensor für diese Indizien.
Ohne den Vertrieb geht es nicht!
Damit der Vertrieb diese Aufgabenstellung übernimmt und darüber hinaus auch ernst nimmt, müssen Sie zwei Maßnahmen ergreifen. Zuerst müssen Sie den Vertrieb von der Notwendigkeit der sorgfältigen Beobachtung möglicher Indizien überzeugen. Anschließend müssen Sie den Vertrieb davon überzeugen, dass niemand besser als der Vertrieb diese Aufgabe übernehmen kann. Zuletzt müssen Sie dann noch Prozesse definieren und Instrumente zur Verfügung stellen, dass der Vertrieb diese wichtige Aufgabe auch erfüllen kann. Den Vertrieb von der Notwendigkeit zur Früherkennung von Ausfallrisiken zu überzeugen dürfte recht einfach sein. Etwas schwieriger wird es sein, ihn davon zu überzeugen, dass die Wahrnehmung dieser Aufgabe am besten durch den Vertrieb erfolgt. Wie viel Überzeugungsarbeit Sie dabei leisten müssen, hängt entscheidend davon ab, wie das Verhältnis zwischen Vertrieb und Forderungsmanagement grundsätzlich ist. Handelt es sich um ein Spannungsverhältnis, werden viele Argumente und viel Überzeugungsarbeit nötig sein. In einem bestehenden Spannungsverhältnis sollten Sie sich durchaus mit einer schrittweisen Einführung dieser „Überwachungsaufgabe“ einverstanden erklären. Es ist besser, wenn die Beobachtung von Ausfallrisiken zunächst bei z.B. den 20 größten Schuldnern in eher langen Zeitabständen (1 – 2-mal pro Jahr) erfolgt, als eine komplette Beobachtung aller Kunden in kurzen Zeitintervallen zu fordern und damit zu scheitern. In jedem Fall aber sollten Sie Wert darauf legen, dass die Beobachtung sowohl durch den Vertriebsaußendienst (anlässlich der ohnehin stattfindenden Kundenbesuche) als auch durch den Vertriebsinnendienst (parallel zu den regelmäßigen Bestell- und Lieferprozessen) erfolgt. Ein- bis zweimal pro Jahr sollten Sie die Ergebnisse, an vorher festgelegten Terminen, einfordern. Bitte weisen Sie den Vertrieb aber darauf hin, dass alle besonderen Beobachtungen zwischen den Terminen unverzüglich kommuniziert werden müssen.
CHECKLISTE FÜR DIE BEOBACHTUNG VON KRISENANZEICHEN
Zur Unterstützung dieser Beobachtungsaufgabe hat es sich bewährt, dem Vertrieb eine Checkliste zur Verfügung zu stellen, die zur Strukturierung der Beobachtung und zur Dokumentation der Ergebnisse Verwendung finden kann. Besonders erfolgversprechend ist es, wenn es Ihnen gelingt, diese Checkliste in die bestehenden Besuchsberichte des Vertriebs zu integrieren. Hier finden Sie ein Muster einer solchen Checkliste als Orientierung für die Gestaltung Ihrer eigenen Checkliste.